Ein moderner Traditionalist

Die Weinrunde zu Besuch bei Josephus Mayr – Unterganzner

Josephus Mayr UnterganznerDer hagere Mann mit dem roten, etwas schütteren Haar und der unverkennbaren blauen Schürze muss es sein. Er winkt uns freundlich von der anderen Straßenseite zu, als wir kurz nach 15 Uhr an der Autobahnausfahrt Bozen Nord, dem vereinbarten Treffpunkt, ankommen.

Sein kräftiger Händedruck ist der eines Menschen, der die Arbeit nicht scheut. Josephus Mayr vom Unterganznerhof scheint sich sichtlich über ein Wiedersehen mit Peter zu freuen, einem unserer Mitglieder, der auch dieses Treffen arrangiert hatte. Beide verbindet nicht nur die Passion zum Wein, sondern auch die Jägerei.

Wir folgen ihm im Auto zu seiner nahegelegenen Weinlage bei Kardaun. Dort soll unsere Führung beginnen.

Wir haben Glück mit dem Wetter, und obwohl wir erst Ende März schreiben, kriegen wir einen Vorgeschmack auf die Sonne, mit der die 1 ha große Lage durch die südliche Ausrichtung gesegnet ist.

Wie uns Josephus Mayr erklärt, liegt das Weingut auf einer Schutthalde von abgelagerten Material, das vom Stollenbau der staatlichen Energiegesellschaft Enel stammt; das ganz in der Nähe ein Kraftwerk betreibt; ideal für den Weinbau, da es sich um leichten, gut durchlüfteten Boden handelt. Die Lage hat den zusätzlichen Vorteil, dass es hier im Sommer permanent windig ist, also von großem Vorteil in kritischen Situationen, da es zu keinem Feuchtigkeitsstau kommt. Zudem sorgt der Wind für die Kleinhaltung der Beeren.

In nicht allzu großer Entfernung des Weingutes liegt die vielbefahrene Brennerautobahn sowie die Staatsstraße. Natürlich sind wir neugierig, wie das denn mit der Schadstoffbelastung sei. Doch anscheinend werden 95 % der Schadstoffe über die Gärungshefe abgereichert.

Wir staunen nicht schlecht als uns Josephus gleich zu Beginn einige seiner 250 Olivenbäume zeigt, die hier optimale Bedingungen vorfinden. Schnell merkt man, wie sehr ihm die Kultivierung der Bäumchen am Herzen liegt. Das Problem sei im Winter die kritische Temperaturgrenze von –7 Grad. Deshalb hat er bereits Kontakte zu einem Professor in Perugia geknüpft, der ihn bei der Pflanzung von widerstandsfähigen Bäumen berät. Schon im nächsten Jahr rechnet Josephus mit einem Ertrag von über 60 Liter Olivenöl. Dazu wird auch jedes Fleckchen ausgenutzt, sogar in der 1995 errichteten Begrenzungsmauer zum Eisack hin gedeihen die Pflanzen.

Die Reben, die hier wachsen, werden fast ausschließlich im Pergelsystem erzogen, nicht der Tradition wegen, sondern weil er die Pergel bei entsprechender Pflege, sprich Laubarbeit und konsequentes Ausdünnen, für mindestens gleich gut hält wie das Drahtrahmensystem.

Vom Herbizideinsatz sieht der Unterganzner ab, und schon seit 16 Jahren wird kein Kunstdünger mehr verwendet, lediglich Stallmist kommt zum Einsatz. Dadurch werden die Reben widerstandsfähiger, Kunstdünger lässt die Trauben schnell wachsen, wodurch sie zum Aufplatzen neigen und sich mit Wasser voll saugen.

Josephus Mayr UnterganznerIn dieser klassischen St.-Magdalener-Lage werden zudem größtenteils die kleintraubigen Tschaggelevernatsch-Trauben und kaum Großvernatsch angebaut.

Überhaupt scheint der eigenwillige Mann ein Minimalist zu sein, auch was die Mengen anbelangt. Er setzt mehr auf Qualität denn auf Quantität. So will er heuer lediglich 8 Trauben auf jedem Stock belassen, was heißt, dass die Doppeltriebe schon im Frühjahr stark ausgebrochen werden. Im Juli gilt es dann, den richtigen Zeitpunkt für die nächste Ausdünnung zu erwischen. Wird dieser verfehlt, kommt es zu starker Zellbildung und die gewünschte Wirkung bleibt aus. Die Haupternte beim St.Magdalener findet in der ersten und zweiten Oktoberwoche statt.

Anfang Oktober werden einige Triebe der Vernatschtrauben gekappt. Wird dann um Martini gewimmt, weisen die Trauben einen hohen Zuckergehalt und viel Extrakt auf. Bei starker Ausdünnung bleiben also nur mehr 60 – 70 Zentner pro ha übrig.

Beim Cabernet am Steilhang sind es gar nur 600 – 800 gr. pro Stock, also gerade 1 Glasl, wie uns Josephus erklärt.

Mit der Bewässerung hat es eine besondere Bewandtnis, was wiederum mit der klassischen Lage zu tun hat. Das in den 20er Jahren errichtete Bewässerungssystem gehört zu den ältesten in Südtirol und ist vor allem für die Qualitätsproduktion in den Südlagen unverzichtbar. Die Bauern dürfen frei bewässern, ohne an einen Stundenrhythmus gebunden zu sein. Hier kommt dies vor allem dem Cabernet  am Steilhang zugute.

Bereitwillig gibt der sympathische Bauer sein Wissen preis, und er tut dies weder abgehoben-technizistisch noch in einer allzu schwärmerischen Sprache. Er ist gut geerdet, so wie seine Weine auch. Obwohl erst 41 Jahre jung, blickt er bereits auf einige Erfahrung in diesem Metier zurück.

Mit 19 Jahren ist er in den elterlichen Hof eingestiegen. Er besuchte zuerst die Handelsschule, um danach die Obst- und Weinbauschule „Laimburg“ in Pfatten abzuschließen. Eigentlich hätte es ihn danach noch an die Versuchsanstalt S. Michele all’Adige gezogen, er ließ es aber bei weiteren zwei Jahren an einer landwirtschaftlichen Oberschule in Verona bewenden, wo er sich als Privatist noch zusätzliches Wissen aneignen konnte.

Die nächste Überraschung erwartet uns, als wir anschließend zum Unterganznerhof fahren, der mitten im Dorf Kardaun liegt, eingezwängt zwischen Autobahn und Staatsstraße. Nachdem wir in den Innenhof des seit 1629 im Familienbesitz befindlichen Erbhofs gekommen sind, scheint es, als würden die Uhren hier anders, ja vielleicht langsamer laufen. Vom störenden Straßenlärm ist nicht mehr viel zu hören. Ansonsten: Idyll. Der Eindruck wird noch verstärkt, als die vier Töchter mit ihrer Mutter uns mit einem freundlichen Handschlag willkommen heißen. Alsbald taucht auch der kleine Josef auf. Ich muss schmunzeln, weil mir in den Sinn kommt, was der Schweizer Weinjournalist Martin Kilchmann in seinen Südtiroler Weinführer 1995 geschrieben hat: „(…) und dass die von seiner Frau Barbara im kurzen Zeitraum von 1988 bis 1994 geborenen vier Kinder allesamt Mädchen sind, dürfte ihn zwar nicht aus der Fassung gebracht, aber doch etwas nervös gemacht haben.“ Nun, die Nervosität hat wohl ein Ende…

Josephus Mayr UnterganznerBevor wir einen Rundgang durch einen Teil des an den Hof angrenzenden, 4, 5 ha großen Weingutes machen, gönnt uns Josephus eine Kostprobe seines Lagrein Kretzers. Früher habe der Großvater nur Kretzer gemacht, erzählt er, heute werden 7000 von insgesamt 40000 Flaschen abgefüllt. Dabei wird ein Teil des Weins nach 5 – 6 Stunden Mazeration von der Maische abgezogen, der andere Teil wird sofort abgepresst. Das Ergebnis ist ein fruchtiger Wein mit eleganter Struktur.

Bei der anschließenden Führung durch Garten und Weingut wird deutlich: Vielseitigkeit ist des Unterganzners Stärke und seine Passion. Er ist der Meinung, Spezialisierung enge zu sehr ein.

So baut er auch Äpfel an, er hat Kastanien und Nüsse. Und wir stoßen auch auf Feigenbäume. Mit Begeisterung erklärt er uns, dass er letztes Jahr von den 100 Feigenbäumen nahezu 2000 kg Feigen geerntet hat. Er wäre wohl ein schlechter Geschäftsmann, hätte er nicht entdeckt, dass dies eine Nische sein könnte, die es auszubauen gälte.

Im Garten, dort wo früher eine Orangerie stand, zieht er jetzt seinen Spargel und man spürt, dass er alles, was er pflanzt und zieht, mit einer Hingabe tut. Und er ist offen für Neues.

So wurde die Kellertechnik 1996 revolutionierend verbessert, wie er selbst sagt. Bei allem Innovationsdrang hält er auch an Altbewährtem fest. Dies zeigt sich wohl auch in der Gewichtung der Sorten, die angebaut werden: zu 60 % sind es Lagrein-Trauben. In den Lagrein müsse man sich hineinfühlen, sagt er.

Die Produktion des Lamarein, einem Wein aus teil getrockneten, kurzstieligen Lagrein-Trauben, sei der Versuch, etwas Lokalpatriotisches zu schaffen. Diese Haltung spiegelt sich vielleicht auch in der Zusammenarbeit mit der Fassbinderei Mittelberger wider, einer Bozner Firma, die Fässer unter anderem auch aus einheimischer Eiche herstellt.

Josephus Mayr UnterganznerTrotz der Anerkennung, die dem Lagrein in der Fachpresse und bei verschiedenen Verkostungen gezollt wird, ist der junge Winzer kritisch genug, die Grenzen dieser Traube zu sehen.

Schließlich finden wir uns in der geräumigen Stube des herrschaftlich anmutenden Hofes wieder. Josephus hat etwas Besonderes für uns vorbereitet: eine Vertikalverkostung des „Composition Reif“, einer Cuvee von 80 % Cabernet Sauvignon und 20 % Lagrein. Dabei werden die Cabernet-Trauben am Stock getrocknet.

Den 95er hält er für einen besonderen Jahrgang, er bezeichnet ihn gar als „megasuper“. Entsprechend zufrieden ist er auch mit dem „Reif“ dieses Jahrgangs. Dieses Urteil wird durch unsere Verkostungsnotizen und die Bewertung bestätigt.

Auch Josef Mayr, der inzwischen bald 92jährige Vater, gesellt sich kurz zu uns. Er gibt unverhohlen zu, dass ihm ein Magdalener oder auch ein Kretzer nicht unlieber sei als so ein moderner Barriquewein.

Bis in die Nacht sitzen wir, gestärkt durch zünftige Beigaben wie Käse und Wurst, mit ihm und seiner Frau am Tisch, philosophierend über Südtirol, die Jägerei und die Welt der Weine. Hätten wir auch die Herzlichkeit, die Offenheit und die Gastfreundschaft der Unterganzners zu bewerten gehabt, es wären wohl glatte 100 Parker-Punkte herausgekommen…

wg