Verkostung Tirolensis Ars Vini
Alte Weine
Die Erkenntnis ist nicht neu, dass unsere Gesellschaft ein Problem mit dem Älterwerden hat. Fitness-Päpste suggerieren uns, wir könnten „forever young“ bleiben, wenn wir nur alles so machen, wie sie es uns in ihren Bestsellern vorschreiben. Die Kosmetikindustrie freut sich über steigende Umsatzzahlen, welche ihr all jene bescheren, die sich eisern dem natürlichen Prozess zu widersetzen versuchen. Dabei können Zeichen des Alters, der Reife auch schön, ja durchaus würdevoll sein.
So ähnlich ist es mit den Weinen. Es ist nicht schwer, die Kraft und Frische eines jungen Weins zu erkennen, die Fruchtigkeit der Primär-Aromen zu loben und vielleicht noch vage Aussagen über sein Entwicklungspotential bei richtiger Lagerung zu treffen.
Je älter aber die Weine, desto schwieriger wird es. Zugegeben, der „Weinrunde“ fehlt (noch) die Erfahrung mit älteren Weinen (uns gibt es auch erst seit knapp 10 Jahren, und die Mitglieder haben das Alter eines 45-jährigen Portweins noch nicht überschritten…). Gerade in letzter Zeit jedoch beschäftigen wir uns zunehmend mit älteren Jahrgängen verschiedener Weine.
Da hortet Manfred, unser „Präsident“, also geduldig besondere Tropfen im Keller, um sie nach 10, 15 oder 20 Jahren vom angesetzten Staub zu befreien und sie erwartungsvoll den Freunden zu kredenzen. Hat sich das Warten gelohnt oder wurde „der richtige Zeitpunkt“ verpasst?
Wie hell die Freude, wenn sich ein Wein auch nach 20 Jahren noch erstaunlich frisch und präsent zeigt! Wie groß andererseits aber auch die Enttäuschung, wenn das Urteil manchmal von „altersschwach“ über „oxydiert“ bis zum definitiven „hinüber“ reicht. Denn ein gewisses Risiko ist mit der Lagerung von Weinen immer verbunden, selbst wenn alles stimmt, von der Kellertemperatur – bevorzugt konstant um die 10 – 12 Grad, wie die Experten sagen – über die Lichtverhältnisse – möglichst dunkel, da Licht die chemische Reaktion beeinflusst – bis hin zur passenden Luftfeuchtigkeit – nicht zu trocken, da sonst die Korken leiden könnten und eindringender Sauerstoff den Wein rascher oxydieren lässt.
Wann ist ein Wein eigentlich alt? Und was ist die Besonderheit eines alten Weines? Ob solch schwieriger Fragen entbrennen in der „Weinrunde“ regelmäßig hitzige Diskussionen. Doch gerade diese ermöglichen Entwicklung, machen neugierig und fordern heraus.
Nicht von allen Weinen kann man das verlangen, was zum Beispiel bestimmten deutschen Rieslingen zugeschrieben wird, nämlich extreme Langlebigkeit. Die Mehrheit der Weine reifen im besten Fall ein paar Jahre, können aber nicht altern oder erreichen zumindest keine neuen Qualitäten im Alter. Diese Erfahrung hatten wir in unseren Verkostungen immer wieder auch mit Südtiroler Weinen machen müssen. Zehn Jahre alte Blauburgunder oder Cabernets schienen auf dem Höhepunkt, Zeit also die noch lagernden Vorräte zu leeren.
Oder war es einfach Ungeduld, Unverständnis gar, das uns zu solch vielleicht ungerechtfertigten Urteilen hat kommen lassen?
Verkostung mit TIROLENSIS ARS VINI
Sehr gelegen kam uns deshalb die einmalige Gelegenheit, ältere Jahrgänge von ausgewählten Südtiroler Weinen zu verkosten. Josephus Mayr vom Unterganznerhof, zu dem die „Weinrunde“ gute Kontakte pflegt, hatte zwei Mitglieder zur Verkostung von „Weinraritäten“ der Weinbauern von TIROLENSIS ARS VINI eingeladen.
Die 8 Weinbauern im Zeichen des Tatzelwurms, allesamt „überzeugte Individualisten und Pioniere“, wie sie sich selbst auf ihrer Homepage bezeichnen, beschäftigten sich schon länger mit der Frage, welches Alterungspotential Südtiroler Weine eigentlich haben. Sie selbst sind davon überzeugt, dass ihre Weine auch über eine längere Lagerungsfähigkeit verfügen. Und sie scheuten sich nicht, die ihrer Meinung nach besten Stücke aus ihren Kellern zu holen und sie einem ausgewählten Fachpublikum zu präsentieren.
Der Ort war gut gewählt, nämlich im Ansitz Kränzel von Franz Graf Pfeil in Tscherms.
Etwas überrascht waren wir, auf der Verkostungsliste bis auf einen Blauburgunder aus dem legendären Jahrgang 1959 nicht wirklich alte Weine zu sehen – zumindest nach unserem Verständnis. Die ältesten Weine stammten aus dem Jahrgang 1992. Auch dies sagt möglicherweise etwas aus über das Alterungspotential von Südtiroler Weinen.
Interessant war die Erfahrung allemal. Wer hat schon einen `95er Vernatsch oder Magdalener in seinem Keller und traut sich, diesen zu präsentieren (so viel vorab: der Magdalener vom Griesbauerhof erwies sich trotz seiner ausgeprägten Bitternote als durchaus elegant und lang im Abgang!).
Angetan waren wir vor allem von den Weißen, was wieder einmal bestätigen würde, dass Südtirol als Weißweingebiet das Potential noch lange nicht ausgeschöpft hat. Interessant vor allem der `95er Sauvignon von Gastgeber Graf Pfeil mit angenehmen Holundernoten und noch schönem Trinkfluss, die `95er Gewürztraminer Spätlese von der Laimburg mit betörender Nase nach Honig, Bisquit und Rosinen und wunderbar langem Abgang, dann die `95er Weißburgunder Beerenauslese vom Ansitz Kränzel mit exotischen Noten in der Nase und schöner Balance zwischen Restsüße und noch vorhandener Säure.
Bei den Roten zeigt der `59er (!) Blauburgunder vom Popphof, dass es sich manchmal lohnt, Weine einfach im Keller zu „vergessen“. Einige Flaschen dieses Jahrhundertjahrgangs sind anscheinend bei der Renovierung des Weinkellers eines Bekannten aufgetaucht und so wieder in den Besitz des Popphofs gelangt, der die alten Flaschen liebend gern gegen neue eintauschte. Der Wein zeigte sich in der Nase bereits oxydativ, im Mund jedoch erstaunlich präsent, rauchig, mit süßen, an Creme caramel erinnernde Noten und von einer Eleganz, wie man sie von einem großen Burgunder erwarten könnte.
Obwohl der Jahrgang `92 nicht gerade groß war, hatte sich die Cabernet-Riserva der Laimburg erstaunlich gut gehalten. In der Nase kein bisschen oxydativ, zeigte er sich im Mund kraftvoll und gut strukturiert. Lediglich der etwas bittere Abgang bremste den Trinkgenuss.
Wir gestehen: wir sind bekennende „Fans“ der Unterganzner-Weine. So hat uns denn auch der `95er Reif sehr zugesagt mit seiner dichten Struktur und seinem überaus harmonischen Abgang.
Beim anschließenden Abendessen wurden verschiedene Vertreter der Südtiroler Weinszene (Journalisten, Weinhändler, Mitglieder von „Tirolensis Ars Vini“, Weinliebhaber) um ein Statement gebeten.
Die Moral von der Geschicht‘:
Die Kultur, sich mit älteren Weinen zu befassen, muss sich in Südtirol offenbar erst entwickeln. Das fängt beim Erzeuger an, der natürlich versucht ist, seine Weine möglichst schnell aus dem Lager zu haben, da sie Kapital binden. Das setzt sich fort über die Gastronomie, die bei eher kleineren Jahrgängen und vielleicht nicht so bedeutenden Erzeugern riskiert, auf den Flaschen sitzen zu bleiben. Und der Kreis schließt sich bei den Konsumenten, die die Möglichkeit haben müssen, auch ältere Jahrgänge noch zu erschwinglichen Preisen zu bekommen.
Über den Ideenreichtum und die Finesse des Menüs, zubereitet von Spitzenköchin Anna Matscher (Restaurant „Zum Löwen“, Tisens), müsste ein eigener Artikel verfasst werden, bei dem wir aus dem Schwärmen wohl nicht so schnell herauskommen würden!
wg