Im Windschatten der „Bleichen Berge“
Die Weinrunde im Valpolicella
Tagebucheintrag vom 13.7.02
Gemäß dem Sprichwort „Warum denn in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah!“ wollen wir das Valpolicella etwas genauer kennen lernen. Unser Besuch gilt der Azienda Agricola Corte Sant’Alda im Nordosten von Verona.
Eine steile, staubige Straße führt zum schön gelegenen Weingut, einem alten römischen Ansitz, wo uns die Besitzerin begrüßt, eine kleine, stämmige, resolut wirkende Person.
Die Zone um Mezzane, in der das Weingut liegt, gehöre schon nicht mehr zur Zone des Valpolicella Classico, erklärt uns Marinella Camerani. Das historische Valpolicella-Gebiet besteht nämlich aus den fünf Gemeinden Fumane, Marano, Negrar, Sant’Ambrogio und San Pietro in Cariana. Diesen Gemeinden wurde die Zusatzbezeichnung „Classico“ zugestanden.
Schnell begreifen wir, dass wir es hier mit einer kritischen Weinproduzentin zu tun haben, die sich nicht einfach den gängigen Trends und Moden anpassen will. Sie möchte mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln guten Wein machen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn man gute Weine macht, sei man immer exponiert, und es bestehe die Angst, dass jemand anderes besser wird, meint sie. Sie spricht vom damit verbundenen Stress, von der „ansia dei tre bicchieri“. Auch wenn es dem Verkauf dient, wenn man im „Gambero“ mit 3 Gläsern angeführt wird, möchte sie sich frei machen von dieser Angst. Sie weiß wovon sie spricht, ist es ihr doch mit dem Amarone sowohl 1990 wie auch 1995 gelungen, die begehrte Auszeichnung im wohl bekanntesten italienischen Weinführer zu bekommen.
Für ihre Weine verwendet Marinella die klassischen drei Hauptsorten Corvina, Rondinella und Molinara in unterschiedlichen Prozentsätzen. Im „Mithas“, dem Flaggschiff des Betriebes, finden sich 80 % Corvina, 15 % Rondinella und 5 % Molinara.
Corvina ist die Hauptsorte, die dem Wein gute Struktur und Fruchtigkeit gibt. Rondinella hingegen macht den Wein weicher und runder. Die einfache Molinara-Traube verliert durch das Qualitätsbewusstsein der Winzer zunehmend an Bedeutung. Sie kultiviert auch einige Reben der autochthonen Croatina, die dunklen und tanninreichen Wein ergeben und damit das Tanningerüst ihrer Weine zusätzlich unterstützen.
Die ausgewählten Trauben für ihren „Mithas“ werden im November gelesen, insgesamt werden ca. 8 – 10.000 Flaschen produziert.
Für den Amarone werden die Trauben von November bis Februar auf natürliche Art getrocknet, das heißt, sie lagern nicht in speziellen Trockenräumen, wo ein Gebläse die Austrocknung der Beeren beschleunigen soll. Durch das „appassimento“ verlieren die Beeren einen Teil des Wassers und der Zuckergehalt wird erhöht. Zudem werden bestimmte Inhaltsstoffe wie z. B. die Apfelsäure abgebaut und der Glyzeringehalt erhöht sich. Dieser Prozess kann durch Botrytisbefall noch verstärkt werden.
Wenn Marinella von ihrer Arbeit, von ihrem Alltag erzählt, merkt man ihr die Passion für den Wein an, aber auch ihren Ehrgeiz, etwas Besonderes zu schaffen. So hat sie neben dem „klassischen“ Amarone mit dem 1995er-Jahrgang erstmals auch einen Amarone „Mithas“ gemacht, der darauf wartet, in Flaschen abgefüllt zu werden.
Von der Besonderheit und dem Charakter ihrer Weine können wir uns dann bei der Verkostung überzeugen. Mit Akkuratesse werden die Gläser aviniert.
Wir beginnen mit dem einfachen Valpolicella 2001, einem frisch-fruchtigen, trinkigen Wein, der sich durch ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis auszeichnet.
Der Valpolicella Sup. Mithas 1999 ist erst seit einer Woche in der Flasche, und so präsentiert er sich auch: noch etwas ungestüm, aber mit interessanter Nase nach getrockneten Früchten und Mandeln und kraftvoll im Mund.
Der Amarone 1997 besticht durch tiefes Rubinrot, Minze und Tabak in der Nase, im Mund durch Kirschen in Alkohol und Röstaromen. Trotz der Komplexität fehlt dem Wein etwas die Länge.
Der mit „3 Gläsern“ prämierte 95er Amarone schließlich zeigt sich höchst interessant: in der Nase Anklänge an Kräuter, eingelegte Früchte und Kirschkerne, im Mund Schokolade- und Kaffeenoten, sehr ausgewogen und mit langem Abgang. Ein großes Finale.
Sie erzählt zu jedem der kredenzten Weine eine kleine Geschichte, und es ist immer auch ein Stück ihrer eigenen, bewegten und bewegenden Geschichte.
wg